Berlin (dpa) - Ob der «Benzingipfel» eine Trendwende bringen kann? Schon jetzt zeigt sich: Die Bundesregierung hat keine umfassende Strategie für einen klimaschonenderen Autoverkehr. Denn nicht nur der Biosprit E10 steht am Scheideweg. Auch beim Elektro- und Hybridauto geht es kaum voran.
Dabei zeigt ein Blick in den April 2008, dass das E10-Debakel absehbar war. Damals verkündete Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) das vorläufige Aus für die E10-Pläne und begründete dies mit Sorgen der Verbraucher um die Motoren ihrer Autos: «Die Umweltpolitik wird nicht die Verantwortung dafür übernehmen, dass Millionen von Autofahrern an die teuren Super-Plus-Zapfsäulen getrieben werden», sagte er. Genau dieses Problem hat nun sein CDU-Nachfolger Norbert Röttgen.
Und der muss sich scharfe Kritik von allen Seiten gefallen lassen. FDP-Fraktionsvize Patrick Döring vermisst bei ihm Sensibilität für Stimmungen in der Bevölkerung, die skeptisch gegenüber dem Sprit ist - auch weil es verwirrende Angaben zur Verträglichkeit gibt. Röttgen selbst weilte am Vortag des Benzingipfel noch im Skiurlaub.
Die E10-Einführung entspringt einem Deal mit der Autolobby. Auch die Hersteller stehen mittlerweile in der Kritik, weil sie keine Haftung dafür übernehmen, wenn der Motor am Super-Benzin mit zehn Prozent Ethanol langfristig Schaden nimmt. Vereinzelt sollen sie Autofahrern sogar den «ehrlichen Rat» geben, besser auf Nummer sicher zu gehen und E10 nicht zu tanken. «Die ducken sich schön weg», heißt es aus der schwarz-gelben Koalition.
Statt den durchschnittlichen Flottenausstoß von Kohlendioxid auf 120 Gramm pro Kilometer zu begrenzen, konnten die Autobauer auch dank E10 eine Begrenzung auf nur 130 Gramm durchsetzen. Die Konzerne schoben mit dem Biosprit einen Teil der Klima-Bringschuld auf die Benzinbranche ab, um bei eigenen Klimaschutzauflagen nicht so hart rangenommen zu werden, moniert die Opposition. Die Autobauer müssen sich vorhalten lassen, zu wenig auf spritsparende und kleinere Modelle zu setzen.
Kommt es zum Aus für E10, sind die Verbraucher wahrscheinlich die Verlierer. Die Strafzahlungen für eine Rückkehr zum alten Super mit fünf Prozent Ethanol würde etwa 2 Cent pro Liter betragen. Gewinner wäre mit zusätzlichen Millioneneinnahmen ausgerechnet der für die Misere mitverantwortliche Staat. Die Konzerne haben bereits Strafzahlungen auf den Spritpreis aufgeschlagen. Der Chef des Mineralölwirtschaftsverbands, Klaus Picard, fordert angesichts des Kaufstreiks einen Verzicht auf Strafzahlungen, wenn E10 scheitert.
Schon 2008 gab es unterschiedliche Angaben zur E10-Verträglichkeit. Während die deutschen Hersteller mitteilten, dass nur 189 000 Pkw beim alten Super bleiben müssten, bezifferte der Verband der Importeure ausländischer Marken die Zahl auf über drei Millionen Autos nicht-deutscher Hersteller. Schon damals dominierte die Skepsis gegenüber mehr Sprit mit Ethanol die Debatte, weil eine Konkurrenz zur Nahrungsproduktion befürchtet wurde. Das Problem ist bis heute, dass erst bis etwa 2020 mit einem Durchbruch von Biokraftstoffen der zweiten Generation zu rechnen ist - etwa aus Holzresten, Bioabfällen oder Stroh.
Zweiter Verlierer scheint in der jetzigen E10-Debatte der Umwelt- und Klimaschutz zu sein. Denn ohne mehr Biosprit tut sich bei aller Kritik an den Nebenwirkungen und der umstrittenen Klimabilanz noch weniger. Der Direktor des CAR-Center Automotive Research an der Universität Duisburg-Essen, Professor Ferdinand Dudenhöffer, betont: «E 10 ist ein Beispiel dafür, dass Deutschland keine Strategie hat, um auf umweltfreundliche Fahrzeuge und Kraftstoffe umzuschwenken».
Darin unterscheide sich die Bundesrepublik wesentlich von Ländern wie Brasilien, Italien, Schweden, USA, China oder Japan. «Deutschland fährt bei umweltfreundlichen Kraftstoffen und Antrieben fast hoffnungslos hinterher.» Die Umsetzung der bisherigen Ansätze sei lieblos und scheitere seit gut 10 Jahren «wie ein Rohrkrepierer». Über 99 Prozent der Fahrzeuge seien Benziner oder Diesel.
«Erdgas, das vor den Vorgängerregierungen versucht wurde anzuschieben, fristet ein jämmerliches Dasein», so Dudenhöffer. Gerade mal 4988 Erdgasautos seien im Jahr 2010 verkauft worden. Dabei erlaube Erdgas eine CO2-Einsparung bis zu 20 Prozent gegenüber dem Benzinmotor. Auch bei dem anderen Klima-Hoffnungsträger, den Hybrid-Autos, sieht es mau aus: Nur 10 319 Hybrid-Neuwagen oder 0,4 Prozent aller Neuwagen wurden in Deutschland 2010 verkauft. In den USA wurden 2010 gut 250 000 Hybrid-Fahrzeuge verkauft.
Und dann ist ja noch das vielgepriesene Elektroauto. Aber auch hier hinkt Deutschland hinterher. Von den 100 000 Elektrofahrzeugen, die laut Prognose in diesem Jahr weltweit verkauft werden, «werden in Deutschland mit viel Glück 800 bis 1000 Fahrzeuge auf die Straße gebracht», sagt Dudenhöffer. 2010 waren es gerade mal 309.
Dagegen würden wohl allein in Frankreich gut 5000 Elektroautos in diesem Jahr zugelassen. Aber: Hier gibt es auch Kaufprämien in Höhe von 5000 Euro, in Deutschland will die Regierung keine E-Auto-Prämien, Verkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) warnt bereits vor einem Subventionswettlauf in Europa.
Es fehle insgesamt an einer übergreifenden Strategie, man könne außerdem nicht einfach einen Biosprit verordnen und denken, das läuft schon, kritisiert Dudenhöffer. «Bis vor ein paar Tagen hat sich in den Berliner Ministerien kein Mensch über die Einführung von E 10 Gedanken gemacht», sagt der Autofachmann. «Und das trotz des großen Politikflops von 2008».
Quelle: http://newsticker.sueddeutsche.de/list/id/1121172
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