Mittwoch, 9. März 2011

Die Brüderle-Tour

Dies ist ein Moment für Macher. Ein Brüderle-Moment. Und so steht dieserRainer Brüderle nun im Foyer des Bundeswirtschaftsministeriums in Berlin und berichtet in kurzen Sätzen, was er die zwei Stunden zuvor gemacht hat. Er hat den Benzinwahnsinn beendet. Er hat »die Verunsicherung abgebaut«. Er hat dafür gesorgt, dass die Menschen das Vertrauen in die Politik behalten.

Es ist der Dienstagnachmittag dieser Woche, kurz nach halb vier. Soeben ist der Benzingipfel der Regierung zu Ende gegangen. »Benzingipfel«, das war Brüderles Idee. So wie er vor zehn Jahren die Idee hatte, frustrierte Telekom-Aktionäre aus der Staatskasse zu entschädigen. Oder wie er vor sieben Jahren wollte, dass besser verdienende Manager beim Überfahren einer roten Ampel mehr zahlen als andere Autofahrer. Damals war Brüderle noch ein FDP-Oppositionspolitiker. Jetzt ist er der FDP-Wirtschaftsminister. Seine Themen aber sind geblieben: Wenn es in der Wirtschaft menschelt, ist Rainer Brüderle da. Der Mann weiß, was das Volk hören will.

E10 ist ein neuer Kraftstoff, den angeblich alle haben wollten – den dann aber fast niemand tankte. Also schoben sich die Beteiligten gegenseitig die Schuld zu. Die Regierung kritisierte die Autobauer, die ihre Kunden nicht genug informierten. Die Mineralölindustrie kritisierte die Regierung, die den Kraftstoff unbedingt eingeführt haben wollte. Und die Autofahrer taten das, was am sinnvollsten erschien: Sie tankten einfach das bekannte, bewährte Benzin.Willkommen im wundersamen Streit um E10. Seit Tagen debattiert die Öffentlichkeit über diese Buchstaben-Ziffern-Kombination, als handele es sich um den Geheimcode einer neuen Bombe. Oder den Tarnnamen einer gefährlichen Terrorzelle. Dabei dreht sich der Streit – man muss sich das schon noch einmal bewusst machen – nur um Benzin. Aber Benzin ist wichtig für Autos. Und bei Autos verstehen die Deutschen keinen Spaß.

So ist der Benzingipfel vor allem ein Augenblick der Selbstvergewisserung. Die beteiligten Politiker – neben Brüderle sind das Umweltminister Norbert Röttgen, Verbraucherministerin Ilse Aigner und Verkehrsminister Peter Ramsauer – vergewissern sich, mit der Einführung von E10 auf dem richtigen Weg zu sein. Die Automobilverbände dürfen stolz auf ihre Autos, die Benzinproduzenten stolz auf ihr Benzin sein. ADAC und AvD loben die eigenen Hotlines, die von den Autofahrern nur angerufen werden müssten. Die Bioethanol-Branche ist da. Der Bauernverband. Die Verbraucherzentralen. Und die Journalisten, die fast eine Stunde auf die Pressekonferenz gewartet haben und dann all das brav aufschreiben, weil sie nicht mit leeren Händen in ihre Redaktionen zurückkehren können – sie kommen schließlich geradewegs von einem Gipfel.

Schon einmal sorgte E10 für viel Streit, knapp vier Jahre ist das jetzt her. Damals hieß der Umweltminister noch Sigmar Gabriel, und in Berlin regierte die Große Koalition. Gabriel hatte ehrgeizige Pläne, schließlich musste er sich neben der »Klimakanzlerin« Angela Merkel behaupten. Und weil Politik viel mit großen Worten zu tun hat, legte der Sozialdemokrat Ende 2007 eine Roadmap Biokraftstoffe auf. Zusammen mit der Automobil- und der Mineralölindustrie, der Landwirtschaft und Agrarminister Horst Seehofer (CSU) hatte sich sein Ministerium darauf verständigt, den Biokraftstoffanteil im Benzin bis 2020 auf 20 Prozent zu erhöhen. In einem ersten Schritt sollte 2009 der Anteil von 5 auf 10 Prozent steigen. Gabriel wollte zeigen, dass er es mit der Klimapolitik ernst meinte und die EU-Vorgaben von einem Maxipolitiker wie ihm nur als Mindestmaß gesehen wurden.Das Ereignis ist das Thema. Und nicht der ursprüngliche Anlass des Ereignisses. Und so kommt es, dass nach Brüderles Benzingipfel zwar geklärt ist, dass E10 nun wirklich gemeinsam durchgesetzt wird. Ob der angeblich grüne Kraftstoff aber der Umwelt hilft, bleibt weiter offen.



Am Ende ließen ausgerechnet jene, die die Roadmap miterfunden hatten, Gabriel auflaufen: die Industrie – und der eigene Koalitionspartner. Die Autobauer hatten dem Minister falsche Zahlen über die E10-Verträglichkeit geliefert. Anstatt knapp 400.000 Autos, die den neuen Biosprit nicht tanken konnten, waren es mehr als drei Millionen. Bayerns damaliger Umweltminister Markus Söder (CSU) nannte die Biosprit-Strategie daraufhin »Unfug«. CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla ätzte: »Herr Gabriel sollte sich weniger in Talkshows und mehr in seinem Ministerium aufhalten.« Und Bundeswirtschaftsminister Michael Glos (CSU) stellte klar: Gabriel habe die Sache mit dem Biokraftstoff vermasselt. Im April 2008 stoppte der Gescholtene die E10-Pläne. Er werde »nicht die Verantwortung dafür übernehmen, dass Millionen von Autofahrern an die teuren Super-Plus-Zapfsäulen getrieben werden«.

Die Einführung von E10 ist eine Initiative der Großen Koalition, die die schwarz-gelbe Regierung wiederbelebt hat. Man will auf diese Weise eine EU-Richtlinie umsetzen, die bis 2020 10 Prozent erneuerbare Energien im Transportsektor vorgibt. Dazu kommt ein Deal mit der Autoindustrie. Eigentlich sollte für die Emissionen der deutschen Fahrzeuge ein Grenzwert von 120 Gramm CO₂ pro Kilometer gelten, doch man gewährte Daimler, BMW, Porsche und Co. eine großzügigere Regelung: 130 Gramm CO₂ pro Kilometer – die restlichen 10 Gramm sollten durch den neuen Biosprit eingespart werden. »Und dann hat sich niemand mehr darum gekümmert«, sagt einer, der damals dabei war.

»E10 ist der Versuch der Automobilindustrie, sich vor umweltfreundlichen technischen Neuerungen zu drücken«, kritisiert Olaf Tschimpke, Präsident des Naturschutzbundes Deutschland (Nabu) und Mitglied in dem von der Regierung berufenen Rat für nachhaltige Entwicklung. Tatsächlich senkt Biosprit die CO₂-Emissionen von Autos weniger stark, als dies mit technischen Umrüstungen zu erreichen wäre – etwa durch den Einsatz von Leichtlaufölen. Viele Wissenschaftler halten den angeblich grünen Kraftstoff sogar für umweltschädlich. In einer Studie des Instituts für Europäische Umweltpolitik werden die enormen Nachteile von Biosprit benannt – unter anderem der Einsatz von Kunstdünger oder die energieintensive Herstellung. Die Autobauer sind also fein raus. Die Umwelt ist es nicht.

»Es ist unwahrscheinlich, dass die Biokraftstoffbeimischung einen substanziellen und gesamtwirtschaftlich effizienten Beitrag zum Klimaschutz leisten kann«, sagt Hermann Lotze-Campen, Wissenschaftler am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. »Die beste Klimapolitik wäre es, den Emissionen auch im Verkehrssektor einen Preis zu geben, zum Beispiel im Rahmen des Emissionshandels.«

Was sich in der Theorie vernünftig anhört, funktioniert in der Praxis nicht sofort. Steigen die Benzinpreise im gewohnten Rahmen, tanken die Deutschen deshalb nicht weniger. Sie kaufen auch keine kleineren Autos. Sie murren bloß mehr. Im Zuge der Libyen-Krise sind die Benzinpreise auf mehr als 1,50 Euro je Liter gestiegen, Super Plus kostet noch einmal bis zu acht Cent mehr. Auch das hat die Verbraucher aufgebracht. Es spricht für den Volksversteher Brüderle, dass er diese Stimmung erkannte. Und es war bestimmt nur Zufall, dass dem Wahlkämpfer Brüderle dann der Benzingipfel einfiel – zweieinhalb Wochen vor den Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz. Missliebige Diktatoren werden fortan mit deutschen Zapfpistolen verjagt.Am Dienstag im Wirtschaftsministerium spricht Brüderle vom »engen Schulterschluss« der Beteiligten. Einen Meter neben seiner rechten Schulter steht Norbert Röttgen. Der ist unter Druck, weil er die Wutwelle der Bürger nicht anrollen sah. Und weil ihn, den CDU-Landeschef von NRW, die dortige Regierungskrise mehr bindet, als ihm lieb sein dürfte. Röttgen wählt die Vorwärtsverteidigung – und macht eine neue Argumentationslinie pro E10 auf: die geringere Abhängigkeit von Ölimporten. »Biosprit muss keinen Vergleich mit Gadhafis Öl scheuen!«, ruft er in den Saal.

Quelle: http://www.zeit.de/2011/11/E10-Politik

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