Mittwoch, 9. März 2011

Grünes Licht für Biosprit E10 "Röttgen verpasst letzte Ausfahrt"

Das Ergebnis des mit Spannung erwarteten '"Benzin-Gipfels" ist ernüchternd: Politik und Wirtschaft bleiben dem von den Verbrauchern boykottierten E10 treu. Nach einem vorübergehenden Einführungsstopp wird die Verbreitung des sogenannten Biosprits an deutschen Tankstellen weiter vorangetrieben. Den Weg zum Erfolg soll eine genaue Information der Autofahrer ebnen. Für die deutschen Tageszeitungen, die noch immer über den Schuldigen des Desasters debattieren, ist mit der Entscheidung allerdings kein Blumentopf zu gewinnen - für sie ist "die Rübe im Tank" in vielerlei Hinsicht bedenklich.

Für die Kieler Nachrichten bekommt das Wort "Energiewende" mit dem Benzin-Gipfel "eine ganz neue Bedeutung": "Wenn es ernst wird, wendet sich die Politik mit viel Energie ab und macht wahlweise die Mineralölwirtschaft oder die Autoindustrie für den Schaden verantwortlich. Die sollen nun gefälligst mit besseren Informationen zur Verträglichkeit von E10 die Zweifel der Autofahrer zerstreuen. Für den wahrscheinlichen Fall, dass das nicht gelingt, hat die Politik die Schuldigen schon gefunden".

"Selbst wenn E10 nun gekauft wird, weil die Werbestrategen es uns mit bunten Broschüren schmackhaft machen oder der Preis unschlagbar ist, ändert dies nichts an der Tatsache, dass Bioethanol alles andere als 'Bio' ist", wirft die Nordesse-Zeitungaus Bremerhaven ein. "Noch schlimmer aber: Die Autoindustrie atmet nun erst einmal auf und lehnt sich entspannt zurück. Elektro-Fahrzeuge, Tempo-Limit, geringer Spritverbrauch, neue Motoren? Hat ja alles Zeit, die Rübe im Tank sorgt für eine schöne Schaffenspause. Sobald der angebliche Öko-Saft sich verkauft, können wir auf eine Strategie der Regierung und Industrie zurressourcenschonenden Mobilität weiter warten. Auch die schönste Info-Kampagne kann das nicht grün übertünchen".

Der Berliner Tagesspiegel gibt im Zusammenhang mit dem umstrittenen Biosprit E10 hinsichtlich des Festhaltens an klassischen Antriebstechnologien zu bedenken: "Die Autobauer verkaufen lieber große Karossen, die mehr schlucken, und die Regierung hält den benzingetriebenen Ottomotor vermutlich, wie schon die Atomenergie, für eine Brückentechnologie, die noch ein paar Jahrzehnte unbesorgt genutzt werden kann. Das ist ein Irrtum. Nicht erst seit der Ölkatastrophe vor der Südküste der USA muss jedem bewusst sein, dass die Ausbeutung der letzten (…) Ölreserven unter immer aufwendigeren und riskanteren Bedingungen erfolgt. Neben diesem Raubbau an der Natur nimmtder Raub-Anbau des sogenannten Agrosprits immer bedenklichere Dimensionen an. Die Weltmarktpreise für Weizen und Mais sind in kurzer Zeit um 75 Prozent gestiegen, auch weil die Hungernden der Dritten und der Zweiten Welt mit den Biospritproduzenten (…) um die knapper werdenden Ressourcen kämpfen".

"Der Umweltminister wurde vom E-10-Debakel überrollt", stellt die in Regensburg erscheinende Mittelbayerische Zeitung fest. "DerInformations-GAU geht auf seine Kappe, weil er es versäumte, der Industrie klare Vorgaben zu machen. Zudem blockiert Röttgeneine echte grüne Verkehrswende. Auf dem Benzingipfel verpassteer die letzte Ausfahrt, um die Öko-Geisterfahrt zu unterbrechen.Jetzt sind wieder die Autofahrer am Zug. Mit einer Abstimmung an den Zapfpistolen können sie den Minister auf den Pannenstreifen winken".

Die in München herausgegebene Süddeutsche Zeitung bringt wenig Verständnis für den Biosprit-Boykott der Autofahrer auf: DerVerbraucher habe ein Wesen gezeigt, "das in seiner Widersprüchlichkeit locker mit der Mineralölindustrie verglichen werden kann. Dieser Verbraucher ruiniert seinen Körper mit Zigaretten, Alkohol, Chips und Flips, die er übrigens auch gerne mal an der Tanke kauft. Er isst Pommes, die in ranzigem Öl frittiert wurden, rümpft aber die Nase, wenn dem Benzin, in dem schon fünf Prozent Ethanol drin sind, nochmal fünf Prozent beigemischt werden. Kurz: Dem Verbraucher, insbesondere wenn er in der Unterspezies des Autofahrers auftritt, macht es weniger aus, wenn sein Magen rebelliert, als wenn der Motor klopft".

Die Stuttgarter Zeitung lässt den Weitblick schweifen: "Der angebliche Biosprit ist nicht so grün, wie die Schilder an den Zapfsäulen glauben machen sollen. Wird er im Auto verbrannt, entsteht ebenso viel Treibhausgas wie bei der Verbrennung von herkömmlichem Benzin. Solange für die Pflanzen, aus denen er destilliert wird, Wälder verschwinden müssen, kann von einem Öko-Kraftstoff keine Rede sein. Und viele Menschen tun sich zu Recht schwer, angesichts von Hungersnöten in Teilen der Weltwertvolle Nahrungsmittel zu verbrennen - zumal Biosprit zumAnstieg der Lebensmittelpreise rund um den Globus beiträgt, was die Ernährungslage verschlechtert und die Armut verschärft.Solange E10 noch aus Lebensmitteln hergestellt wird, lassen sich die Zweifel an dessen Nutzen nicht beseitigen".




Quelle: http://www.n-tv.de/politik/pressestimmen/Roettgen-verpasst-letzte-Ausfahrt-article2789891.html

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen